Putin-Versteher? Empfinde ich nicht als Beschimpfung
Klaus von Dohanyi über den Krieg in der Ukraine
Klaus von Dohnanyi blickt mit großer Sorge auf die Lage in der Ukraine und äußert sich im Interview klar und reflektiert. Er bezeichnet den Begriff „Putin-Versteher“ nicht als beschimpfend. Er nimmt diesen Ausdruck aber nicht als persönliche Beleidigung, sondern sieht „Verstehen“ als etwas Positives – für ihn ist es in der Politik wichtig, die Beweggründe und Interessen anderer Akteure zu kennen, gerade auch von Gegnern. Mit anderen Worten: Er meint nicht, dass man Putins Handeln gutheißen soll, sondern dass man es verstehen muss, um klug und erfolgreich verhandeln zu können.
Der 96‑Jährige, der einst Bundeswissenschaftsminister unter Willy Brandt und Erster Bürgermeister Hamburgs war, hat vor Kurzem sein Buch *Nationale Interessen* veröffentlicht, in dem er eine realistischere, weniger wertorientierte Außenpolitik fordert. Dohnanyi warnt vor europäischen Illusionen und einer fehlgeleiteten Identifikation mit den USA, die eigene Interessen oft über europäische belasse. Er hebt einen markanten Unterschied hervor zwischen seiner Generation und der jungen politischen Führungsriege wie Annalena Baerbock, insbesondere was strategische Tiefe, historische Erfahrung und Perspektive betrifft. In seiner Analyse kritisiert er die Erweiterung der NATO bis an die russischen Grenzen als Fehler, der zu Spannungen beigetragen habe. Er untermauert seine Position aus dem Buch, dass Sanktionen ohne Verhandlungswillen sowohl wirkungslos als auch schädlich seien und realpolitische Gespräche unverzichtbar. Seine Haltung bleibt von dem Eindruck getragen, dass eine Verhandlungslösung möglich gewesen wäre und der Krieg vermeidbar war. Insgesamt plädiert Dohnanyi für eine nüchterne, eigenständige europäische Politik, die sich weniger an US‑Maximen orientiert und stärker auf Verhandlung, Verständnis und historisches Bewusstsein setzt.
Das Gespräch führte Clemens Traub
18.05.2025
Hier der Link zum vollständigen Interview:
https://www.cicero.de/aussenpolitik/klaus-von-dohnanyi-interview-putin-versteher
