Sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen als Kriegswaffe
Krieg kann als anomische Situation betrachtet werden, da er den Zusammenbruch bestehender Normen und Werte, die Erosion der gesellschaftlichen Ordnung und einen Zustand der Normlosigkeit erzeugt. Der systematische Einsatz sexualisierter Gewalt in einer solchen Situation wird vielfach verharmlost und seitens der Opfer aus Scham verschwiegen. Die Dunkelziffern sind folglich hoch. Grenzenlos verfügbar sind die Waffen sexualisierter Kriegsgewalt. Ihre Wirkungen sind verheerend, vielfältig und nachhaltig.
Erst seit den Kriegen der 1990er Jahre in Ruanda und Bosnien, wird sexualisierte Kriegsgewalt juristisch anerkannt. „Diese Kriege haben eine ganz entscheidende Rolle für die juristische Anerkennung gespielt“, sagt die Südtirolerin Monika Hauser, Gründerin der Frauenrechts- und Hilfsorganisation Medica Mondiale, die sich um kriegstraumatisierte Frauen und Mädchen kümmert.
So wurde 1994 der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda gegründet, 1998 sprach das Gericht in einem Urteil erstmals von sexueller Gewalt als Völkermordhandlung. 2001 erkannte der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag offiziell Vergewaltigungen im Krieg als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen an.
Ein Bericht des Deutschlandfunks vom 23. August 2025 stellt fest: „Sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten hat laut der UN 2024 weltweit stark zugenommen.“
Ein Bericht von terre des femmes (TDF) vom 30.10. 2024 der sexualisierte Kriegsgewalt thematisiert, soll hier in Auszügen wiedergegeben werden: „Seit Jahrhunderten wird sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe eingesetzt. Die Gewalt trifft meist Mädchen und Frauen und soll die Gemeinschaft destabilisieren und demoralisieren. Sie hinterlässt auch in der Nachkriegszeit sichtbare nachhaltige Spuren.
Geschichtlich betrachtet stellt sexualisierte Kriegsgewalt ein Kontinuum dar, das verharmlost oder als Normalität betrachtet wurde. Während des Zweiten Weltkrieges verschleppte zum Beispiel das japanische Militär mindestens 200.000 Frauen, sogenannte „Trostfrauen“ aus verschiedenen Ländern, die in Bordellen zwangsprostituiert wurden. Allgemein erlebten Mädchen und Frauen im Zweiten Weltkrieg von allen Kriegsparteien sexualisierte Gewalt.
Ein öffentliches Bewusstsein für sexualisierte Gewalt, welche dann auch als systematische Kriegswaffe eingeordnet wurde, entstand erstmals in den 1990er Jahren in Folge des Genozids in Ruanda und in Bosnien-Herzegowina. Während des Völkermordes in Ruanda wurden laut Schätzung 250.000 bis 500.000 Frauen vergewaltigt; in Bosnien-Herzegowina waren es 20.000 bis 50.000 Frauen, die betroffen waren. Auch im Zweiten Kongokrieg (1998-2003) wurde Vergewaltigung als Kriegswaffe eingesetzt, hundertausendfach waren Mädchen und Frauen betroffen.
Sexualisierte Kriegsgewalt ist keinesfalls eine historische Erscheinung. Die sexualisierte Gewalt in den kongolesischen Konflikten hält bis heute an, bestimmt, schränkt ein und zerstört das Leben der Mädchen und Frauen. Während des Völkermords des Islamischen Staats an den JesidInnen im Irak im Jahr 2014 fanden ebenfalls Massenvergewaltigungen und sexuelle Versklavung von jesidischen Mädchen und Frauen statt.
Der brutale Einsatz sexualisierter Kriegsgewalt gegen Mädchen und Frauen ist leider aktueller denn je, wie Berichte aus dem Ukrainekrieg und den Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Israel zeigen.
Als Kriegswaffe oder -taktik wird sexualisierte Gewalt zur Umsetzung militärischer Absichten, insbesondere im Rahmen von Genoziden, ethnischen Säuberungen und Vertreibungen eingesetzt. Man geht davon aus, dass sexualisierte Kriegsgewalt in diesem Fall aktiv und systematisch von militärischen Befehlshabern taktisch eingesetzt wird, um die Moral in der eigenen Armee aufrechtzuerhalten und die größtmögliche Zerstörung in der feindlichen Gesellschaft zu hinterlassen.
Häufig folgen die Soldaten jedoch keinen direkten Befehlen, sondern Vergewaltigungen sind viel mehr Ausdruck einer Situation, in der Kontrollen und Hemmschwellen nicht existieren. Der Zerfall sozialer und moralischer Strukturen in Folge eines Krieges, sowie die beim Militär gelernte Assoziierung von Gewalt und Männlichkeit sind Gründe, warum Männer sexualisierte Kriegsgewalt ausüben. Die Täter müssen in fast allen Fällen keine Strafverfolgung fürchten, patriarchale Machtstrukturen werden verstärkt und Männer in ihrer hegemonialen Männlichkeit durch ihren militärischen Dienst und ihre Überlegenheit bestätigt.
Die Frauen sind im Zuge sexueller Übergriffe oft von Ausgrenzung betroffen, da sie „entehrt“ sind. Sie erfahren Stigmatisierung und Vertreibung. So hält die Gewalt gegen sie auch nach den Kriegen an. Darüber hinaus leiden die Betroffenen unter einer Vielzahl von körperlichen und psychischen Folgen, nachdem sie sexualisierte Kriegsgewalt erfahren haben, wie posttraumatische Belastungsstörungen oder Depressionen, aber auch Unfruchtbarkeit und Schmerzen.
Das Leiden setzt sich in den nachfolgenden Generationen fort. Kinder, die durch erzwungene Schwangerschaften entstehen, sind ebenso von Ausgrenzung betroffen, und das Trauma, das durch sexualisierte Kriegsgewalt an Mädchen und Frauen verursacht wird, vererbt sich häufig über zahlreiche Generationen. Ganze Gesellschaften werden so in ihrer sozialen und wirtschaftlichen Funktion nachhaltig beeinträchtigt.“
Susanne Elsen


