Bin ich ein Pazifist?

Von Erwin Demichiel

(Rundbrief #6)

„Du bist gegen diesen Krieg, also bist du ein Pazifist?“ Ich hab eine Weile gebraucht, um mir diese gute Frage beantworten zu können. Das Resultat ist: nein, ich bin kein Pazifist. Diesen Ehrentitel verdien ich nicht. Von einem Pazifisten wie beispielsweise Gandhi trennen mich Lichtjahre. Ich würde mich nicht einmal trauen zu sagen, dass ich ein wirklich friedfertiger Mensch bin. So weit bin ich auf dem langen Weg, ein Mensch zu werden, noch nicht gekommen. Und sollte ich jemals in diesem oder einem anderen Leben dorthin gelangen, so hätte der Begriff keine Bedeutung mehr; dann würde ich tun, was zu tun ist und es wäre jenseits jeder Bewertung.

Warum bin ich also gegen diesen unsäglichen Krieg auf europäischem Boden, gegen die Hochrüstung und für sofortige Verhandlungen? Weil ich alt genug und lange genug auf dieser Welt bin, um zu verstehen, dass wir, der Westen, eindeutig Mitverantwortung (mit Betonung auf MIT) am Entstehen des Krieges haben. Die NATO-Osterweiterung war völlig unnötig und den Abbruch der fortgeschrittenen Friedensverhandlungen in Istanbul 2022 haben wir zu verantworten. Ja, wir haben dazu beigetragen. Wir sind keine unschuldigen Lämmer, wir sind nicht arme Opfer eines bösen Buben. Das ganze Opfergetue nervt mich bis zum Anschlag. Im Grunde fühl ich mich in meinem Menschenverstand, in meiner Lebenserfahrung und in meiner beruflichen Erfahrung beleidigt, wenn ich mir die tägliche dummdreiste Propaganda anhören muss, die uns weismachen will, dass wir Guten, wir Wertegeleiteten, wir friedfertigen Hüter von Freiheit und Menschenrechten von der Bestie im Osten bedroht werden, dass die uns in Kürze überfallen wird und wir deshalb gezwungen sind, gegen sie Krieg zu führen.

Will ich angeredet werden wie ein Kleinkind, dessen Welt noch aus guter Mama und böser Mama besteht? Warum wollen die mir ständig die Märchen vom bösen Wolf und den unschuldigen Geißlein oder Schweinchen oder was immer vorlesen? Denken die, ich hab in der Schule geschlafen, oder danach nix mehr gehört von den beiden Weltkriegsmassakern des vergangenen Jahrhunderts, wo unseren Eltern und Großeltern der gleiche Mist erzählt wurde? Und jetzt schon wieder?

Leute, ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich hab das Bedürfnis, wie ein erwachsener Mensch angesprochen zu werden, der in der Lage ist, das kleine Einmaleins des Lebens mittlerweile – wenn auch mit einiger Mühe – so doch halbwegs fehlerfrei aufsagen zu können. Aber sicher, wir wissen genau, wie absolut wunderbar befreiend es ist, ein paar Feinde zu haben, auf die wir unseren eigenen Seelenmüll projizieren können. Genauso wissen wir, wie schwierig und absolut großartig es ist, den starken zartbitteren Geschmack der Anerkennung und Übernahme der eigenen Verantwortung wahrzunehmen und zu erkennen, wie nahe an Frieden, Heilung und Wachstum sie uns führen kann.

Und genau diese Anerkennung und Übernahme von Mitverantwortung für die Entstehung dieses Krieges verlange ich von unseren europäischen Politikern, die uns regieren wollen und die vor Eintritt in die Regierung meist den bedeutungsschweren Satz von sich geben „wir sind bereit Verantwortung zu übernehmen“. Wie schön! Dazu gibt es jetzt Gelegenheit. Übernehmt euren Teil der Verantwortung, legt den Schießprügel beiseite und setzt euch an den Verhandlungstisch ohne Wenn und Aber, zieht euch frische Windeln an, weil da kanns schon mal passieren und verschont uns mit albernen Kindergeschichten! Ich bin kein Pazifist. Ich habe fertig.

Reaktionen

Hallo Arno, Sepp, und all die anderen Friedensblogger.

Ich habe die letzten Blogs aufmerksam gelesen und angehört. Inhaltlich kann ich mit vielen einverstanden sein. Auch ich bin für diplomatische Lösung von politischen Konflikten.

Allein wie Erwin Demichel und Eugen Drewermann ihre Argumente vorbringen, empfinde ich ganz und gar aggressiv und bevormundend. Dieses Verhalten gipfelt in der Aussage von Erwin Demichel: „Im Grunde fühl ich mich in meinem Menschenverstand, in meiner Lebenserfahrung und in meiner beruflichen Erfahrung beleidigt, wenn ich mir die tägliche dummdreiste Propaganda anhören muss, die uns weismachen will, dass wir Guten, wir Wertegeleiteten, wir friedfertigen Hüter von Freiheit und Menschenrechten von der Bestie im Osten bedroht werden, dass die uns in Kürze überfallen wird und wir deshalb gezwungen sind, gegen sie Krieg zu führen“.

Diese und weitere Aussagen von Demichel tragen meiner Meinung sicherlich nicht dazu bei, gemeinsam mit anderen, um sich für den Frieden in der Ukraine ein zu setzen. 

Zu den Aussagen von Eugen Drewermann über die Friedensverhandlungen 2022 in Istanbul, habe ich keine verlässliche Quelle gefunden, dass auf Drängen von USA die Verhandlungen abgebrochen wurden. Vielleicht kann mir einmal jemand diesbezüglich weiterhelfen. Fakt ist, dass während der Verhandlungen weiterhin Krankenhäuser, Schulen und andere Infrastrukturen in der Ukraine angegriffen und Kinder verschleppt wurden. Alles völkerrechtswidrige Handlungen.

Natürlich bin ich der Auffassung, dass die Nato nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hätte aufgelöst werden müssen, oder sich zumindest anderen Prioritäten zuzuwenden. 

Auch bezüglich der Aufstockung der Militärausgaben und der Wiedereinführung der allgemeinen Militärpflicht bin ich der Meinung, dass sich zuerst die europäischen Länder auf ein gemeinsames Verteidigungsbündnis und einer gemeinsamen Außenpolitik einigen sollten.

Auch mir liegt der Frieden sehr am Herzen, aber die Aussagen von Demichel und Drewermann empfinde ich für eine Friedensinitiative nicht sonderlich förderlich.

in der Hoffnung auf baldigen und gerechten Frieden auch und vor allem für weniger schädliche Klimaemissionen durch die Kriegsaktivitäten

Franz Hillebrand
(...)ich habe dieses video vor einigen tagen in voller länger - allerdings in mehreren zeitlichen abständen - angehört/gesehen. ich kenne eugen drewermann seit vielen jahren, habe ihn auch in bozen gehört und mehrere bücher von ihm gelesen. er zählt für mich zu jenen menschen, denen ich glaube und vertraue. es ist für mich nicht immer leicht, ihm, ohne selber aufgewühlt zu sein, zu folgen. aber das ist mein, nicht sein problem. 

wie flavio von witzleben sich im vorspann präsentiert, in einer "pose des machers", empfinde ich etwas ungeschickt, aber auch hier will ich das kind nicht mit dem bad ausschütten  (...) Oswald Waldner
(...) Schön , was im Pragsertal passiert. Wohltuend scharf, was der Erwin Demichiel schreibt!

Ich kann da nicht mithalten, weder inhaltlich noch technisch! Aber freuen tut es mich!

Habt Dank!

Irmtraud Mair
Nächster Artikel

Deine Meinung!

Schreibe uns deine Meinung und Gedanken.
Deine Meinung »

Über den Friedensblog

Die Ideengeber hinter dem Friedensblog sind: Sepp Kusstatscher - Arno Teutsch - Susanne Elsen - Erwin Demichiel - Johannes Fragner-Unterpertinger
Über uns »

Kategorien