„Stell Dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.“
Als Jugendlicher hatte ich Verständnis, ja heimliche Verehrung für jene, die sich weigerten, in den Krieg zu ziehen. Auch die Militärdienst-Verweigerer respektierte ich. Ich persönlich tat alles, um den damals noch verpflichtend vorgeschriebenen Militärdienst nicht ableisten zu müssen.
Damals, vor 50-60 Jahren waren aber noch die Veteranen des Zweiten Weltkrieges überall an der Macht, in Politik und Medien. Die wenigsten dieser Kriegsveteranen haben aus der Katastrophe des Krieges wirklich gelernt. Manche mögen wohl auch Schwierigkeiten gehabt haben, einzugestehen, dass sie im Dritten Reich unkritisch mitmarschiert sind. So war in dieser Phase des Kalten Krieges für die große Mehrheit der politisch Verantwortlichen klar, dass das Wettrüsten in West und Ost notwendig sei und dass die NATO jedenfalls jederzeit in der Lage sein müsse, sich gegen die Sowjetunion zu behaupten.
Ich hatte nicht den Mut, öffentlich gegen den Strom zu schwimmen und mich als Pazifist zu outen. Erst die Frauen für den Frieden um 1980 bewogen mich, langsam Farbe zu bekennen. Als ich mich damals beispielsweise in der SVP-Bezirksleitung Brixen klar gegen die NATO-Station in Natz aussprach, erntete ich harsche Kritik, sogar von Leuten aus Natz-Schabs. Dass dort atomare Sprengköpfe gelagert waren, wollte man nicht glauben. Erst als die NATO ohnehin abzog und die Bauern und Touristiker die großen brachliegenden Flächen entdeckten, waren alle für den Frieden.
Die Abschaffung der Pflicht zum Militärdienst in Italien 2004 habe ich sehr begrüßt. Viele, die den Militärdienst hinter sich hatten, waren aber entrüstet und meinten, dass alle tauglichen Männer kampftüchtig sein müssten. Der Drill würde allen guttun.
Die Gehirnwäsche bei der Ausbildung zum Kriegsdienst hat wohl ihre Wirkung getan.
Warum schreibe ich das? Nicht so sehr, weil ich befürchte, dass wieder die Militärpflicht eingeführt wird, sondern mehr noch, um der Frage nachzugehen, wer von den 20- bis 40-Jährigen heute freiwillig in einen Krieg einrücken würde. Wohl sehr, sehr wenige würden dazu bereit sein!
Die Zeiten sind – Gott-sei-Dank! – längst vorbei, als junge Männer noch mit Begeisterung für „Gott, Kaiser und Vaterland“ in den Krieg zogen. Wer riskiert freiwillig Kopf und Kragen für die Regierenden oder für die eigene Nation, oder gar für Gott? Wie viele wären überhaupt bereit, auf andere Menschen, die von den Mächtigen als Feinde deklariert werden, zu schießen?
Für diejenigen, die jetzt plötzlich für Aufrüstung und für die Notwendigkeit eines Krieges gegen Russland plädieren, sind die jungen kampftauglichen Männer, die partout nicht an die Front wollen, natürlich nur Weicheier. Wo sind die strammen und mutigen Kämpfer, das fragen sich vor allem jene, die nicht an die Front müssten.
Die großen Militärstrategen wissen, dass es immer weniger Menschen gibt, die bereit sind, in einen Krieg zu ziehen. Es ist auch nicht mehr so, dass zwei Kriegsheere verfeindeter Nationen aufeinander losmarschieren und sich gegenseitig niedermetzeln.
Was planen deshalb all die Militär- und Rüstungsexperten?
Klar, es braucht bessere und raffiniertere Technik: Neben Überschallflugzeugen, Langstreckenraketen, konventionellen und nuklearen Waffen werden vermehrt Drohnen, autonome Waffensysteme, algorithmische Zielauswahl, Informationsoffensiven, Cyberkrieg und Antisatellitenwaffen eingesetzt. Diese sind heute die Schwerter, Schilde und Schlachtfelder der modernen Kriegsführung geworden. Sie faszinieren gleichzeitig die Medien und versetzen die Menschen auf der ganzen Welt in Angst und Schrecken.
Vor allem die Verängstigung ist die stärkste Waffe, um die Massen zu beeinflussen.
So sind all jene zu bewundern und zu unterstützen, die klaren Kopf bewahren, zu jedem Krieg nein sagen und sich als Pazifisten und Kriegsdienstverweigerer eventuell auch belächeln oder beschimpfen lassen.
Sepp Kusstatscher


